In Lichtenberg wird eine neue Runde von Straßenumbenennungen politisch diskutiert und vorbereitet.
Eine Podiumsdiskussion am 24. Oktober befasst sich unter anderem mit diesen Fragen:
- Wie soll mit den Straßen und ihren Namensgebern umgegangen werden?
- Welche Bedeutung haben öffentliche Orte für die Erinnerung?
- Welche Erfahrungen haben Aktivist:innen mit der Umbenennung von historisch belasteten Orten gemacht und
- welche Lehren können daraus für eine Auseinandersetzung in Berlin-Lichtenberg gezogen werden?
Auf der Veranstaltung am Dienstag, 24. Oktober 2023, um 18.30 Uhr im Museum Lichtenberg im Stadthaus, Türrschmidtstraße 24 in 10317 Berlin, wird über den Umgang mit heute nachträglich als antisemitisch eingeordneten historischen Personen und den nach ihnen vorgenommenen Straßenbenennungen in Lichtenberg gesprochen.
Darüber sprechen Ute Linz (Initiative für die Umbenennung der Robert-Rössle-Straße in Berlin-Buch), Tahir Della (Decolonize Berlin), Dagmar Poetzsch (Arbeitskreis Stolpersteine Lichtenberg) und Manfred Becker (Gedenktafelkommission). Die Veranstaltung wird von Clara Westendorff (Straßenlärm Berlin e.V.) moderiert.
Hintergrund: historische Neubewertung von Personen
Schon seit Jahrzehnten wird in Berlin über die Namensgeber von Straßen und Plätzen gestritten und diskutiert. In der ganzen Stadt gibt es mindestens 290 Ortbezeichnungen, welche nach Menschen benannt sind, denen heute ein antisemitisches Weltbild zugeordnet wird. — Der historische Kontext wird dabei in den Hintergrund gerückt. Individuelle politische, kulturelle, künstlerische, technische und wissenschaftliche Leistungen werden dabei zurück gesetzt.
Im Bezirk Lichtenberg betrifft dies elf Straßen. Dazu zählt etwa die Hauffstraße in der Victoriastadt.
Der Ansprechpartner des Landes Berlin zu Antisemitismus, Prof. Dr. Samuel Salzborn, relativiert die Aussagen seiner der Straßennamen-Studie: Nicht bei jeder Straße oder jedem Platz auf der Liste geht es um „Antisemitismus im engsten Sinne,“ sondern manchmal auch nur um entsprechende Bezüge. Man müsse dann noch einmal genauer hinschauen und forschen, „weil man schlicht und ergreifend nur einige Hinweise hat auf Bezüge und nicht so genau sagen kann, wie das im Detail aussieht.“ (Zitat bei Deutschlandfunk Kultur 16.12.2021).
Um genauer hinzuschauen, bedarf es entsprechender Mittel, die sind in Berlin einseitig vergeben. Information, Aufklärung und Erklärung sind nicht ausreichend ausgestattet.
Das Berliner Landeskonzept zur Weiterentwicklung der Antisemitismus-Prävention behandelt die kulturelle Straßennamen Frage nicht, denn dessen Zuständigkeit liegt bei der Senatsverwaltung für Arbeit, Soziales, Gleichstellung, Integration, Vielfalt und Antidiskriminierung.
So gibt es in Berlin eine große „Bildungs- und Informationslücke“, das Berliner Landeskonzept umfasst nur umfasst nur fünf finanziell gut ausgestattete Handlungsfelder:
- „Bildung und Jugend: „Frühkindliche Bildung, Jugendarbeit, Schule und Erwachsenenbildung“
- „Justiz und Innere Sicherheit“
- „Jüdisches Leben in der Berliner Stadtkultur“
- „Wissenschaft und Forschung“
- „Antidiskriminierung, Opferschutz und Prävention“.
Diese werden aus dem Landesprogramms gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus und dem Bundesprogramm „Demokratie leben“finanziert, bei denen Fachexpertise und Archivkenntnisse eher zu kurz kommen.
Die allgemein-öffentliche Informationen über Erinnerungskultur, Gedenken und Aufklärung und vor allem Erklärungen über historische Zusammenhänge im Bereich Museen fallen daher derzeit ab.
Die Presse und Lokalpresse müssen zudem mit den demografischen Veränderungen und dem Absterben der Zeitzeugengenerationen auch auf eine tragfähige finanzielle Basis verzichten. Mit öffentlicher Förderung wird dazu die Erinnerungskultur projektweise nach und nach zum „inApp-Content“ degradiert.
Mit einer Straßenumbenennung droht damit auch der Schaden von „Nichterinnerung“ und „Nichtwissen“ über historische Kontexte.
Einfach.SmartCity.Machen: Berlin! — Unifying.Generations.Berlin! — Erinnerungskultur, Gedenken und Aufklärung über historische Zusammenhänge und Themen von Museen sind auf Stiftung, Spenden und Zuwendung angewiesen. Eine unabhängige Presssefinanzierung für Lokalmedien gibt es nicht mehr.*
info@lichtenberg-nachrichten.de
*) Inzwischen sind 40 medienökonomische Ursachen für das weltweite Lokalzeitungssterben identfiziert. Das Anwachsen der Erinnerung und Geschichten — und der Wegfall von Werbefinanzierungen, sorgen für „Agenda-Cutting“ und „Wipe-Off“ von Themen.